40. Schon wieder eine Aufführung, die ich nicht gesehen habe:

Florentina Holzinger (NL/AT)
Agon

09. August, 23:00 + 11. + 12. August, 21:00 | Kasino am Schwarzenbergplatz

Florentina Holzinger tut nicht nur so, als hätte sie einen Schmerz. Bei ihrer Bühnenperformance ist man unwillkürlich geneigt, auszurufen: „Heilt Holzinger!“ Sie antwortet mit einem akkuraten „Heil Kunst!“ Dabei gehen ihr weibliche Coaches zur Hand. Sie strecken ihren Arm aus und lassen ihn wieder fallen, strecken ihn aus, lassen ihn fallen. Sogleich empfindet Holzinger einen Schmerz, dass sie aufschreit und den Arm zurückzieht. Sie will aufstehen und fliehen, aber die Knie versagen ihr ihre Dienste. Ihr ist, als wäre sie bis an die Hüften in Schnee versunken. Sie will schreien, aber noch bevor sich ein Laut ihrer Kehle entringt, eilen schon ihre Coaches zu Hilfe.
Das ImPulsTanz-Publikum, das sie liebt und ihr seit Jahren die Treue hält, merkt, dass sie nun auch der Fuß schmerzt. Ihr Tanz verrät es, aber die Zuschauer zeigen sich trotzdem befriedigt. Der Schmerz, Holzingers Schmerz, schmeckt ihnen gut, denn sie hat sie gut zugerichtet. Sie zeigen ihr ihre Liebe auf besondere Weise: „Heil Liebe!“ Auch Holzinger liebt ihr Publikum, obwohl sie immer auf der anderen Seite steht. Dort möchte sie sich erholen können, dort möchte sie sich heilen können. „Heilt Holzinger!“ steht am Beginn ihrer 60minütigen Performance. Sie heilt sich selbst. Sie heilt sich durch Kunst, durch ihre eigene Kunst. Sie liebt auch das kämpferisch Rohe des Tonkünstlers Strawinsky. Agon ist für sie wie eine Kritzelei eines Arztes auf seinem Rezeptblock. „Heilung durch Kunst“ zieht Holzinger in der Regel jedem anderen Heilungsplan vor.
Sie könnte mit diesem Ausgang zufrieden sein, wenn er nicht alle Gefahren der drückenden Abhängigkeit von diesen Nothelfern mit sich brächte. Diese fragen sie, ob sie auch gut geschlafen habe, ob sie denn schon auftreten könne, mit welchem Fuß zuerst. Florentina Holzinger antwortet, sie habe gut geschlafen, sie könne bereits auftreten, mit beiden Füßen zugleich.
Niemand weiß warum, vielleicht sie selber nicht, aber wie von einer unbestimmten Angst gepackt, schreit sie mit gellender Stimme: „Tod!“ Auch ich an meinem Schreibtisch zuhause fühle, dass ich „Tod!“ schreien muss. „Auch ich weiß, daß das Wort Kritik sich durch das Wort Tod übersetzen lässt.“ (Waslaw Nijinskij, Der Clown Gottes, München: Schirmer-Mosel 1985, S. 130) Florentina Holzinger macht‘s mit dem Wort „Kur“.

(Video nach der engl. Übersetzung.)



Florentina Holzinger is not just acting, that she is suffering pain. In her stage performance you cannot help exclaiming: „Heal Holzinger!“ She replies with an accurate „hail art*!“ In this, she is assisted by female coaches.They stretch her arm in salutation, let it fall again, extend it, drop it. Immediately
Holzinger feels a pain that makes her cry and withdraw the arm. She wants to get up and flee, but her knees malfunction. She feels as if she were sunken up to her hips in snow. She wants to scream, but before a sound can escape from her throat, her coaches rush to her assistance.
The ImPulsTanz audience,who love her and have kept their loyalties to her for years, realize that now her foot is hurting, too. Her dancing tells, but the audience still show their satisfaction, all the same. The pain, Holzinger‘s pain, suits them well, because she has trained them well. They show her their love in a special way: „Hail Love**!“ Holzinger loves her audience in return, even though they always stand on the other side. There she wants to be able to recover, there she wants to be able to heal herself. „Heal Holzinger!“ stands at the beginning of her 60-minute performance. She heals herself. Heals herself through art, through her own art. She also loves the warlike crudeness of the musical artist Stravinsky. To her Agon is like the scribbling of a physician on his prescription pad. In general Holzinger gives „healing by art“ preferance over any other healing plan.
She could be satisfied with this outcome, did it not include all risks of pressing dependency on her auxiliary assistants. They ask her, if she had slept well, if she were able to step on her foot, which foot first? Florentina Holzinger replies that she has slept well, she can already strain her foot, both feet at the same time.
No one knows why, maybe she does not know herself, as if seized by an obscure angst, she yells in a shrill voice, „death!“. I, too, at my desk at home feel, that I must scream „death!“. „I also know that the word ‚criticism‘ can be translated by the word ‚death‘.“ (Vaslav Nijinsky, Clown of God, Munich: Schirmer-Mosel, 1985, p 130) Florentina Holzinger does it with the word „cure“.

*    in German also: the art of healing
**  in German also: heal-love

 

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